„Alle wollen nur eines.“

Quelle: medico international

Interview mit Lukas Gerbig vom Moving Europe-Team über die Situation in Idomeni

Tausende Flüchtlinge stecken fest, nachdem Mazedonien die Balkanroute geschlossen hat. Die Lage am Übergang von Idomeni ist dramatisch. Entweder die Leute erhalten in absehbarer Zeit eine Möglichkeit weiterzuziehen. Oder es wird Tote geben.

Seit Oktober bist du mit dem Moving Europe-Bus entlang der Balkanroute unterwegs. Momentan seid ihr wieder in Idomeni an der an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo immer mehr Flüchtlinge ankommen, aber nicht weiterreisen dürfen. Kannst du uns einen Eindruck von der Situation vor Ort vermitteln?

Das Transitlager in Idomeni ist für die Unterbringung von maximal 1.500 Flüchtlingen ausgelegt. Seit die Balkanroute nun für fast alle dicht ist, sitzen hier aber um die 10.000 Menschen fest. Sie schlafen in kleinen Zelten auf dem Feld oder unter freiem Himmel. Und das bei Regen und nächtlichen Temperaturen um 10 Grad. Stündlich kommen weitere Flüchtlinge dazu. Da keine offiziellen Busse mehr fahren, kommen sie zu Fuß oder anders. Die griechische Regierung hat zwar inzwischen an verschiedenen Orten in Nordgriechenland neue Lager in leerstehenden Militärgebäuden errichtet, doch die Menschen wollen da nicht bleiben. Sie ziehen weiter nach Idomeni und hoffen auf eine Öffnung der Grenze.

Besteht denn überhaupt noch Hoffnung, dass Mazedonien seine Grenzen wieder öffnet?

Es werden immer mal wieder kleine Gruppen von Flüchtlingen durchgelassen, so um die 100 am Tag. Wir vermuten, mit dieser Strategie soll verhindert werden, dass die Lage eskaliert. Auch wenn die Zahl verschwindend gering ist, hoffen alle, dass sie unter den Auserwählten sein und durchgelassen werden. Deshalb verhalten sie sich einigermaßen ruhig.

Es kommt aber doch auch immer wieder zu Protesten, und die Menschen versuchen, die Grenze zu stürmen.

Ja, die Menschen sind verzweifelt. Das Lager ist voller Kinder, Frauen und alter Menschen. Dass die Familienzusammenführung ausgesetzt wurde, hat dazu beigetragen, dass sie sich auf diesem Weg nach Europa aufgemacht haben. Sie danken uns, wenn wir ihnen etwas zu trinken anbieten, aber sie wollen eigentlich nur eins: Weiterreisen. So bald wie möglich. Vor wenigen Tagen gab es dann das Gerücht, dass die Grenze aufgemacht wird, aber es passierte nichts. Das brachte die Menschen so auf, dass sie ein Gatter niederrissen. Grund genug für die GrenzschützerInnen auf der mazedonischen Seite Tränengas einzusetzen, auch gegen die vielen Kinder in der Nähe des Zauns.

Die Präsenz von Polizei und Militär aus verschiedenen EU-Ländern ist auf der mazedonischen Seite sehr stark. Gestern kreiste sogar ein Kampfhubschrauber über dem Lager, was bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten große Ängste auslöste. „Das Geräusch kenne ich aus Syrien nur zu gut“, sagte ein fünfzigjähriger Mann, der zitternd neben mir stand.

Warum weichen nicht viel mehr Flüchtlinge auf alternative Routen über Albanien oder Bulgarien aus?

SyrerInnen und IrakerInnen – andere Nationalitäten haben ohnehin überhaupt keine Chance mehr – benötigen an allen Grenzübergängen entlang des Balkankorridors die neuen „Transitpapiere“, die ausschließlich an der griechisch-mazedonischen Grenze ausgestellt werden. Sonst werden die Flüchtlinge sofort abgewiesen. Serbien stellt diese Papiere nicht aus und tut überhaupt alles dafür, dass sich die Balkanroute nicht verschiebt. So haben Männer zwischen 14 und 60 Jahren in Serbien keinerlei Aussicht mehr auf Asyl. Sie werden aufgefordert, umgehend das Land zu verlassen, oder nach Bulgarien abgeschoben. Selbst wenn dadurch Familien auseinandergerissen werden.

Was denkst du, wie es weitergehen wird?

Ich weiß es nicht. Aber die Lage in Idomeni ist dramatisch. Entweder die Leute erhalten in absehbarer Zeit eine Möglichkeit weiterzuziehen. Oder es wird Tote geben.

Unterstützt und finanziert wird das Bus-Projekt von medico international, der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, bordermonitoring.eu und Welcome to Europe (W2EU). Der MovingEurope-Bus versorgt Flüchtlinge auf der Balkanroute mit Strom für Mobiltelefone, Internet und Infos für eine sichere Reise.

Das Interview führte Ramona Lenz.