Hilfsbereit in der Krise

Eine Stimme aus Polykastro

Evelyn lebt seit 18 Jahren in Polykastro an der griechisch-mazedonischen Grenze. Bis letztes Jahr war sie bei einer Bürger*innen-Initiative aktiv. Mit uns hat sie ihre Einschätzung der Situation in Idomeni geteilt und von beeindruckender Hilfsbereitschaft der Menschen in der Region berichtet:

„Im Moment habe ich Angst, weil die Situation, meiner Meinung nach, sehr geladen ist. Keiner weiß, was passieren soll oder wird. Es wird ja auch gesagt, dass das Militär kommen soll, dass Frontex kommen soll. Ich habe Angst, dass es eskaliert. Der Unterschied zu letztem Jahr ist, dass einfach viel mehr Menschen kommen – dadurch, dass die Grenzen geöffnet wurden und dass die Leute mit Bussen hierher gebracht werden, von Athen, von den Inseln. Letztes Jahr war die Situation ganz anders, weil selbst die syrischen Flüchtlinge nicht durch Mazedonien durchgelassen wurden und auch in Idomeni festgesessen sind. Das war nicht in den Medien und es waren weniger Menschen, so bis zu fünfhundert, und jetzt sind es tausende.

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Ich finde es sehr verwunderlich: Die Griechen haben ja selber wenig, sind ökonomisch am Boden und durchleben eine Krise, und trotzdem zeigen sie so eine Hilfsbereitschaft. Auch hier bei uns in der Gegend sind viele arbeitslos, haben selbst kein Öl zum Heizen und sind trotzdem noch hilfsbereit. Das finde ich sehr beeindruckend. Natürlich gibt’s hier sicher auch Menschen, die Angst haben oder nicht helfen, aber das ist nicht die Regel. Aus Deutschland hört man jetzt immer dieses Geschreie: ‚Wo sollen wir mit denen hin?! Was sollen wir mit denen machen?!‘ Dabei ist Deutschland ja ein sehr reiches und großes Land.

Im Sommer sind Leute auf den Bahngleisen vorbeigelaufen und an allen Häusern an denen sie vorbeigekommen sind, haben sie was bekommen, Wasser oder bisschen Brot, Kekse oder irgendwas, ich finde es schon sehr bewundernswert. Die Menschen hier sammeln für die Flüchtlinge Kleidung, Windeln, Essen, Wasser. Letztes Jahr haben wir dann die Ärzte ohne Grenzen miteinbezogen. Die Apotheken haben Medizin gespendet, die Supermärkte Lebensmittel und Wasser. Wir haben alles versucht, was man tun kann! Und bis vor zwei, drei Monaten waren ja noch keine Organisationen da und da haben es eben nur die Bürger gemacht. Da haben alle Nachbarn bei sich zuhause was gekocht, es in große Töpfe gepackt, sind nach Idomeni gefahren und haben Essen verteilt. So lief das.

Was wir von den Menschen, die durchreisen, mitbekommen, ist einfach zu viel. Die Schicksale von den Menschen sind grausam. Da gibt es viel zu viel zu erzählen. Jeder Mensch hat Zuhause Menschen verloren, Familie verloren. Die Menschen kommen aus dem Krieg, ihre Häuser wurden zerbombt. Und vor allem haben sie dann hier das Problem, dass sie nicht durchreisen konnten, immer wieder von Mazedonien zurück geschickt worden sind, und dass sie eigentlich keine Rechte hier haben.

Und es war bis vor drei Monaten, als der Aufstand an der Grenze war, gar nichts bekannt von Idomeni. Wir haben letztes Jahr versucht, das bekannt zu machen. Ich habe Aufrufe über Facebook geschickt. Ich habe Pro Asyl geschrieben. Sie haben gesagt, sie haben so viel zu tun und sie wussten überhaupt nichts von Idomeni. Das war einfach noch nicht so schlimm, wie auf den Inseln. Es sind einfach alle überfordert: Die freiwilligen Helfer und auch die Organisationen. Ich glaube schon, dass da viel mehr passieren muss.

Ich denke, erst mal müssten die Leute weiterreisen dürfen. Auf jeden Fall müssten die Grenzen geöffnet werden. Die Welt ist so groß, Europa ist so groß. Ich weiß nicht, um wie viele Millionen Menschen es gerade geht – zwei Millionen, vier Millionen, sechs Millionen. Auf ganz Europa verteilt, ist das ein Witz, dass sie nicht reisen dürfen und dass es so ein Problem ist, auch für Deutschland. Meiner Meinung nach, wird es auch als Problem hochgeschaukelt.“

Evelyns Ehemann hat in Solidarität mit den Durchreisenden ein Lied komponiert.