Quelle: Zeit Online
2.000 Flüchtlinge riskierten ihr Leben, um von Griechenland nach Mazedonien zu kommen. War die Aktion von Helfern gesteuert? Eine Aktivistin widerspricht.
Interview: Frida Thurm
ZEIT ONLINE: Frau Homberger, Sie sind als Freiwillige im Flüchtlingscamp von Idomeni und versorgen dort mit Ihrer Gruppe Moving Europe die Bewohner mit Informationen. Worüber?
Aden Homberger: Seit November sind wir entlang der Balkanroute unterwegs und informieren: Wo gibt es Camps und andere Infrastruktur, welche Grenzen sind offen, welche geschlossen? Und welche Rechte sie haben. Außerdem beobachten wir, ob es Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen gibt.
ZEIT ONLINE: Woher bekommen Sie diese Informationen?
Homberger: Wir arbeiten zusammen mit Welcome to Europe, das sind Aktivisten, die schon seit Jahren genau das machen: relevante Infos für Flüchtende zusammenstellen. Im Camp gibt es ein offenes WLAN, das aber ständig überlastet ist. Wenn Leute bestimmte Fragen haben, stellen wir auch eigene Nachforschungen an, fragen zum Beispiel beim griechischen Flüchtlingsrat nach. Diese Infos übersetzen wir auf Arabisch und Persisch, drucken im Nachbarort Polikastro Infoflyer und verteilen sie im Camp.
ZEIT ONLINE: Auch den Flyer, der am Montag dazu aufrief, durch den Fluss nach Mazedonien zu gehen?
Homberger: Nein. Wir haben diesen Flyer nie gesehen, erst später in der Presse. Ich kann nicht mal sagen, ob der im Camp verteilt wurde. Der Aufruf selbst ist absolut verantwortungslos.
ZEIT ONLINE: Woher könnte der stammen?
Homberger: Wir sind mit allen Gruppen im Camp in Kontakt, die Informationen verteilen, und wir wissen es nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemand von denen war. Es sind aber eben auch 12.000 Menschen hier, und man kann nicht alles überblicken.
ZEIT ONLINE: Wie ist das Verhältnis zwischen Aktivisten und Campbewohnern, wer gibt da die Impulse für eine Aktion wie gestern?
Homberger: Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bewohner einfach die Nase voll hatten vom Camp und ihrer aussichtslosen Situation. Es ist auch kein neuer Weg. Für alle, die nicht aus Syrien oder dem Irak kommen, ist die Grenze schon lange zu, und viele haben seitdem versucht, die Grenze zu überqueren.
ZEIT ONLINE: Haben das auch mal welche geschafft?
Homberger: Ja. Wir waren im Januar in Serbien, in Belgrad, dort gibt es viele Flüchtende, die durch Mazedonien gelaufen sind, aber nun eben in Belgrad feststecken. Viele sind aber bei dem Versuch gescheitert und zurück nach Griechenland geschoben worden. Die Idee, gemeinsam loszulaufen, wurde von dem Campbewohnern schon länger diskutiert.
ZEIT ONLINE: Trotzdem steht ja fest: Es gab den Flyer mit dem Aufruf, und am selben Tag haben sich die Menschen auf den Weg gemacht.
Homberger: Ja, es deutet aber einiges auf Selbstorganisation hin. Zum Beispiel sind sie eine andere Route gelaufen. Und es war der erste Tag seit Langem, an dem es nicht geregnet hat.
„Also bin ich mit zum Fluss gegangen“
ZEIT ONLINE: Könnte es Leute unter den Helfern geben, die diese Aktion aus politischen Gründen wollten, und deshalb das Leben dieser Leute riskiert haben?
Homberger: Aus meiner Sicht war völlig klar, dass die Aktion aussichtslos ist. Das Militär in Mazedonien ist in Alarmbereitschaft, es war klar, dass die Menschen nicht weiterkommen. Ich weiß nicht, was da für ein politisches Interesse dahinter stehen sollte.
ZEIT ONLINE: Vielleicht ein Symbol zu setzen vor dem Flüchtlingsgipfel in Brüssel? Zumindest waren ja auch Helfer mit dabei, die den Flüchtlingen durch die Strömung geholfen haben.
Homberger: Ja, es waren Helfer und auch Journalisten mit dabei. Es waren Leute im Rollstuhl und kleine Kinder mit dabei. Und da war klar, dass wir ihnen dabei helfen. Also bin ich mitgegangen.
ZEIT ONLINE: Wenn es keinen Flyer gab, wie haben Sie denn von dieser Aktion erfahren?
Homberger: Wir sind nachmittags gerade im Camp angekommen und haben gesehen, dass sich da Leute auf den Weg machen. Sie haben gesagt, dass sie jetzt nach Mazedonien gehen. Von einem Flyer habe ich nichts gesehen oder gehört. Da haben wir beschlossen, sie zu begleiten. Es ist eine Gruppe von etwa 300 Leuten losgelaufen, und viele haben sich angeschlossen. Wir sind weiter hinten gegangen, bei den Familien, die wussten auch nicht genau, wo es langgeht. Wir haben ihnen auch geholfen, durch den Fluss zu kommen. Wir hatten erwartet, dass danach ein Zaun stehen wird, aber da war kein Zaun. Dann waren wir in Mazedonien und das Militär hat uns aufgegriffen.
ZEIT ONLINE: Was ist dann passiert?
Homberger: Die Helfer und Journalisten wurden von den Geflüchteten getrennt. Wir saßen auf dieser Polizeistation, da machte auch die Info von dem Flyer die Runde. Aber auch von den etwa 50 Leuten dort wusste niemand mehr darüber. Wir waren frustriert, aber vor allem haben wir uns Sorgen gemacht um die Leute, die draußen sitzen mussten, der Willkür des Militärs ausgesetzt.
ZEIT ONLINE: Wie ging es den Menschen draußen?
Homberger: Sie mussten sich in Gruppen von 50 Leuten auf den Boden setzen, dort zum Teil zehn Stunden ausharren. Das haben sie uns später erzählt. Sie durften nicht zur Toilette, waren durchnässt. Einer erzählte von dem Baby eines Freundes, das blaue Lippen hatte und kaum warmzukriegen war. Eine Gruppe hat berichtet, wie sie später mit mazedonischen Militärtrucks zur Grenze zurückgebracht wurden, wo die Soldaten ein Loch in den Zaun geschnitten haben, durch das sie dann zurück nach Griechenland geschoben wurden. Einige sind erst gestern früh um sechs oder sieben zurückgekehrt.
ZEIT ONLINE: Werden Sie nach dieser Aktion noch im Camp bleiben?
Homberger: Ja, ich werde versuchen, die Menschen weiter zu unterstützen in ihren Plänen. Viele Campbewohner hoffen, dass auf dem EU-Gipfel eine Lösung für sie gefunden wird. Ich bin da allerdings nicht sehr zuversichtlich.
ZEIT ONLINE: Und wenn nun noch mehr Menschen durch den Fluss wollen, werden Sie ihnen dabei helfen?
Homberger: Ich glaube nicht, dass das viele noch mal versuchen. Aber viele sprechen davon, nach Albanien zu gehen. Aber auch von dort wurden große Gruppen wieder zurück nach Griechenland gebracht. Das sagen wir den Leuten auch. Wenn es wirklich noch mal jemand versuchen will, würde ich ihm erzählen, was das letzte Mal passiert ist. Aber wir können nicht für die Flüchtenden entscheiden, das müssen sie selbst tun.