Quelle: Medico International
„Es ist unsere Verantwortung, den Flüchtlingen eine sichere Umgebung zu bieten, egal aus welchem Land sie kommen und wohin sie wollen. Die Regierung und das UNHCR arbeiten daran, Menschen, die vor Kriegen fliehen, bessere Lebensbedingungen zu bieten“, erklärte der UNHCR-Mitarbeiter, der für die Planung des Flüchtlingslagers Lagkadikia zuständig ist, gestern der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Leider entspricht die Realität in den Flüchtlingslagern nicht den Erwartungen, die bei den Menschen im selbstorganisierten Lager in Idomeni geweckt wurden, um sie von der Grenze nach Mazedonien wegzulocken.
Das Flüchtlingslager Lagkadikia wurde Ende April eröffnet, um Flüchtlinge aus Idomeni aufzunehmen. Es befindet sich rund 50 Kilometer östlich von Thessaloniki neben einem kleinen Dorf. Vor allem Familien mit Kindern sollten hier vorübergehend unterkommen. Nach Angaben des UNHCR, das das Lager betreibt, sind derzeit 875 Flüchtlinge dort, 40 Prozent davon Kinder. Während in den vom griechischen Militär betriebenen Lagern häufig nicht einmal Mindeststandards eingehalten werden, gibt es in Lagkadikia immerhin genügend Wasser, Essen und eine gewisse Gesundheitsversorgung. Vor allem aber gibt es viel Verzweiflung und Enttäuschung. „Niemand spricht mit uns“, sagen die Flüchtlinge. „Niemand sagt uns, wie es mit uns weitergehen wird. Das ist doch kein Leben.“
Das Team des medico-Partners Moving Europe stellte Mitte Mai die Versprechen des UNHCR der in Lagkadikia vorgefundenen Realität gegenüber:
Promised by UNHCR | Situation on the ground |
1 tent per family | 6 persons per tent, even if they are not from the same family, with compartments only separated by a thin curtain |
1 bed per person | Only 2 narrow beds per tent |
Quick registration for asylum, family reunification and relocation, as well as legal advice | No registration in the camp, instead the advice to „try skype“ |
Housing soon in buildings | Everybody accommodated in tents |
Kitchen for cocking | No kitchen, cooking prohibited |
Free Wifi | Wifi too weak to make Skype calls |
Dass es auch mit der Sicherheit im Lager nicht weit her ist, erklärte uns bei unserem Besuch Ende Mai ein Autohändler aus Aleppo, der mit seinen drei Töchtern im Alter von 17 bis 21 in Lagkadika gestrandet ist: „Es gibt hier zwar genug Toiletten, aber sie sind nachts nicht beleuchtet. Wenn es dunkel wird, kann ich meine Töchter nicht alleine dorthin gehen lassen. Das ist viel zu gefährlich.“ Eine minimale medizinische Versorgung sei zwar gewährleistet, aber um die ernsten Nierenprobleme seiner Frau kümmere sich niemand. Und im Notfall könnten die Flüchtlinge sich nicht darauf verlassen, Hilfe zu erhalten.
Eine irakisch-kurdische Familie mit einem sechs Monate alten Säugling erklärte uns, sie versuche seit Monaten eine Familienzusammenführung zu erreichen. Wie in so vielen Fällen, von denen wir gehört haben, war ein Teil der Familie bereits in Deutschland, aber die Familienzusammenführung kommt nicht zustande. In diesem Fall war der Mann vor sieben Monaten nach Deutschland gekommen. Seine Frau kam im Februar nach Griechenland und sie versuchen seither, eine Familienzusammenführung zu erreichen.
Das scheitert jedoch daran, dass die Frau sich nicht einmal per Skype anmelden und bei den griechischen Behörden registrieren kann, was die Voraussetzung dafür wäre. Skype ist komplett überlastet, weil alle Flüchtlinge darauf verwiesen werden. So ist der Familienvater schließlich aus Deutschland nach Griechenland zurückgekommen: „Ich kann meine Frau und das Baby hier nicht alleine lassen. Das ist zu gefährlich.“ Das Baby habe in den letzten Wochen drei Kilo abgenommen, ergänzt die Frau. „Das interessiert hier niemanden.“
Aufbewahrt und hingehalten
Die Menschen in den neuen Lagern in Griechenland werden nur noch aufbewahrt und hingehalten. Dermaßen um ihre Hoffnungen betrogen erwarten sie nichts mehr vom UNHCR und von der Europäischen Union. Sie sind müde und zermürbt vom Warten.
Weil sie nicht länger untätig sein und vergeblich auf den Zugang zu Skype oder auf die Erfüllung der Versprechen des UNHCR warten möchten, haben einige junge Leute angefangen, eine Baracke auf dem Lagergelände in Lagkadikia zu renovieren, um sie als Treffpunkt zu etablieren und für Unterricht zu nutzen. „Niemand macht hier was mit den Kindern“, erkärt uns Housam Jackl aus Damaskus. Er hat dort für die medico-Partnerorganisation Jafra Foundation gearbeitet, die sich um palästinensische Flüchtlinge kümmert, ist dann für zwei Jahre in den Libanon gegangen und hat auch dort mit und für Flüchtlinge gearbeitet, bevor er sich entschieden hat, weiter nach Griechenland zu fliehen. In Idomeni hat er gemeinsam mit anderen Kollegen, die er von der Jafra Foundation in Syrien kannte, wieder begonnen, mit den Kindern zu arbeiten. Mit ihnen zu spielen, sie zu unterrichten, ihnen eine Struktur im Tag und Abwechslung zu bieten.
Als die Räumung von Idomeni bevorstand, entschied er, mit nach Lagkadikia zu gehen, weil hier vor allem Familien hin verlegt werden sollten. Und wieder kümmert er sich um die Kinder und Jugendlichen. Gemeinsam haben sie die Baracke renoviert und Bänke aus alten Holzpaletten gebaut. Sie basteln und spielen mit den Kindern. Außerdem sprechen sie mit allen, fragen, was benötigt wird und versuchen, das im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu organisieren. Um die Müllentsorgung kümmern sie sich inzwischen ebenfalls. Sie wollen zeigen, dass Flüchtlinge mehr leisten können als ihnen zugetraut wird – und sie wollen selber aktiv sein.